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TAKE YOUR TIME – SCHNAPSIDEEN UND KINDERSCHUHE

Cornelia Köster • Sept. 06, 2021

Thomas Greulich

Manager • Musiker • HAWK Fest Organisator • Bauchmensch



Cover Take Your Time Thomas Greulich by Cornelia Köster

Wo sind Menschen anzutreffen, die nicht gern vor Publikum sprechen? Auf der Bühne, hinter dem Mikrofon einer Metal Band. Wie aus Spaß, Spaß wurde und was sich nicht immer schön trinken lässt, erfuhr ich im Gespräche mit PREMORTAL BREATH Sänger, Thomas Greulich. Und das Ende vom Lied wurde vielleicht der Anfang eines neuen Projekts.



Tommy, du bist der Sänger von PREMORTAL BREATH, wann ging es für dich in Sachen Band und Gesang los?

Mit 17. (Prompt fängt er an zu lachen.) Nein, mit etwa 30. Als es mit PREMORTAL losging, war ich 32 und zwei, drei Jahre zuvor gab es ein Coverband Projekt. Zwar war ich als 16-, 17-jähriger Bassist in einer Band mit einem guten Freund, aber damals wollte ich meine Zeit nicht mit Proben verbringen. Rund 13 Jahre später kam die Musik, aus einer Schnapsidee heraus, wieder.


Wie kam es zu der Schnapsidee?

Auf der hiesigen Kerwe sangen wir in den Bierzelten die typischen Lieder mit und ein Freund fragte mich, ob wir nicht spaßeshalber eine Coverband gründen sollen. Die Idee dahinter war lediglich, sich zu treffen und ein paar Songs zu grölen. Doch das wurde mehr und schließlich kam der Wunsch nach eigenen Sachen auf.

Im Lauf der Zeit gehen Musiker, andere kommen, eine Band löst sich auf, eine neue entsteht und im Verlauf dessen entstand PREMORTAL BREATH. So wurde irgendwann aus Spaß noch mehr Spaß.

Take Your Time – Mikrofon Thomas Greulich by Cornelia Köster

Hattest du, abgesehen von den Kerwen, früher Spaß am Gesang?

Nein! Anfangs im Proberaum vor sich hin zu singen, war in Ordnung, wenn auch Überwindung nötig war, sobald Neue in die Band kamen. Vor ihnen zu singen, fühlte sich einfach doof an. Viele werden das Gefühl kennen, die eigene Stimme auf einer Aufnahme zu hören. Das klingt furchtbar für die eigenen Ohren. Zumal ich auch bei der Arbeit nicht der Typ bin, der gerne Präsentationen und Reden hält. Das ist nicht meine Welt.

Bei manch einem in der Band kam der Wunsch auf, vor Publikum zu spielen. Nachdem das die Mehrheit war, fragte ich mich, was ich da eigentlich gemacht hatte, denn jetzt wurde es doch sehr unangenehm. Der erste Gig kam und unser damaliger Drummer brachte ‚Pfeffi‘ mit, wovon ich eine ganze Flasche vor dem Auftritt brauchte. Während des gesamten Konzerts hielt ich mich am Mikrofon fest und hoffte nur, es möge enden. Es war eine Qual für mich und mit dem Lampenfieber kämpfte ich noch lange Zeit.


Wie bist du mit dem Lampenfieber umgegangen?

Nachdem du es dir nicht jedes Mal schön trinken kannst, schließlich musst du meistens im Anschluss nach Haus fahren, lief ich vor jedem Gig vermutlich hunderte Kilometer auf und ab. Ob im Backstage, vor der Bühne, auf der Bühne, ich war permanent in Bewegung.

Dabei zerbrach ich mir den Kopf darüber, was alles schief gehen kann. Texte vergessen, Einsätze verpassen und so weiter. Was auch alles passiert. Mit der Zeit wurde es besser, sobald der erste Song gespielt war. Der Schalter kippte irgendwann um und es lief. Ich habe gelernt, mit diesen Sachen umzugehen, zu akzeptieren, dass wenn es passiert, es einfach so ist. Es wird nie gebuht. Die Leute sehen es lockerer als du selbst auf der Bühne, wenn sie es überhaupt mitbekommen.

Mittlerweile ist es reine Vorfreude auf einen Auftritt. Schließlich spielen wir maximal fünf Mal im Jahr, da jeder von uns einen Job und manch einer auch mehrere Bandprojekte hat.


Es gab also nie schlechte Erfahrungen mit dem Publikum?

Wir hatten uns einmal überlegt, mit weißem Hemd, Hosenträgern und Krawatte zu spielen. Bei einem Gig mitten im Sommer dachten wir uns auch, es wäre witzig mit Shorts und bunten T-Shirts auf die Bühne zu gehen. Einfach weil es anders war und wir uns selbst in keiner Weise zu ernst nehmen. Aber das kam beim Publikum gar nicht gut an. Nein, das darf man nicht. Die Blicke sagten alles.

Take Your Time Thomas Greulich by Cornelia Köster

Du bist Organisator und Initiator des HAWK Festes. Wie entstand das Projekt?

Das HAWK Fest entstand aus der Idee heraus, meinem besten Freund Jörg zu gedenken, den ich seit dem Kindergarten kannte und der bereits mit 36 Jahren verstarb. Wir hatten die Idee, ihm zu seinem theoretisch 40. Geburtstag ein Fest zu organisieren. Mit seiner ehemaligen Band und Bands, mit denen er zuletzt gespielt hatte. Sich treffen und einen Gig spielen, einfach seinen Geburtstag feiern. Im Handumdrehen waren fünf Bands dabei und es entwickelte sich in eine Richtung, bei der wir auch Shirts machen ließen.

In dem Jahr legten wir ordentlich drauf, was für uns aber in Ordnung war, schließlich sollte es ein Geschenk zu seinem Geburtstag sein. Wir gingen also mit rund 600,- Euro Miese raus und es war geil!

Die Resonanz zu diesem Abend war enorm und der Wunsch, es jährlich zu wiederholen, stand im Raum. Ich besprach es mit Jörgs Bruder und wir entschieden, dass wir so etwas nicht mehr allein stemmen können.


Für das zweite Mal kamen wir auf das R´n´P Wiesloch. Wir waren ausverkauft und es war ein riesiger Erfolg. Finanziell trug es sich nun soweit selbst, dass keine zusätzlichen Kosten für uns entstanden. Für das dritte HAWK Fest hatten wir sogar mit Kartenvorverkauf begonnen und es sah wieder so aus, als könnte es eine ausverkaufte Veranstaltung werden. Leider kam dann Corona. Aber sobald es wieder möglich ist, geht es wieder los.

Wir werden sogar schon von Bands aus Deutschland, Österreich und der Schweiz gefragt, ob sie bei uns spielen können. Wir wissen nicht, woher sie von uns wissen und woher sie unseren Kontakt haben.



»Wir gingen also

mit rund 600,- Euro Miese raus

und es war geil!«

Thomas Greulich


Eine weitere Herzensangelegenheit, weiß ich, treibt dich in den letzten Jahren in Indien rum. Wie kam es dazu?

Das entstand auch aus Eigeninitiative und dem Interesse daran, was meine Kollegen in Indien machen. Ich telefoniere viel mit ihnen und irgendwann erzählte mir Alok, dass er am Wochenende unterwegs war, um eine Schule zu unterstützen. Daraufhin wurde ich hellhörig und wollte mehr darüber erfahren, was er dort macht. Er erzählte mir von den verschiedenen Projekten, die er unterstützt. Unter anderem eine Schule für Kinder, die wirklich gar nichts haben; oder ein Tierheim vor Ort.

Ich meinte, wir sollten dort etwas zusammen machen, sobald ich rüber käme. Das erste Mal nahm ich einfach Geld aus meiner eigenen Tasche mit. Es kam so gut an, dass ich beim nächsten Mal schon Geld dafür sammelte. Dieses Jahr brachte ich einmal, über Facebook, einen Beitrag mit Bildern vom letzten Besuch. Es meldeten sich Leute, die ich nicht einmal kannte und gaben mir Geld dafür. Das ist ein wahnsinniges Gefühl, wenn dir fremde Menschen Geld anvertrauen und sagen, nimm das mit.

Dabei kamen 1.300 Euro zusammen und damit kannst du in Indien schon sehr viel erreichen.

Das Geld habe ich nun noch, da ich durch Corona nicht fliegen konnte und ich hoffe, es so bald wie möglich nachholen zu können.



Dein Kollege Alok sieht also vor Ort die Bedürftigkeit und an die tragt ihr das Geld direkt heran?

Ganz genau. So können wir sicherstellen, dass das Geld direkt ankommt. Der Bedarf wird ermittelt, wir gehen los, kaufen was benötigt wird und es gibt eine persönliche Übergabe. In der Schule sind das zum Teil Sachen für die Schule selbst, wie Drucker oder Regale, aber auch Dinge direkt für die Kinder. Bücher, Schuhe und Kleidung. Das Tierheim bekommt eher eine Barspende für Futter und Operationen, was hauptsächlich Kastrationen sind.

TAke Your Time Thomas Greulich am Airport Frankfurt by Cornelia Köster

Wie empfandest du deinen ersten Besuch vor Ort?

Das war schlimm! Die Eindrücke nahm ich mit nach Hause und sie nagten lange an mir. Als ich zurückkam, war ich gnadenlos geerdet. Ich versuchte dann natürlich, anderen davon zu erzählen, aber das ist, als wollte ein Veganer unbedingt einen Fleischesser bekehren. Wenn ich damals damit auch übertrieb, konnte ich dem Ganzen zumindest eine Zeit lang Gehör verschaffen.

 

Egal bei welchem Gehaltsgefüge, in Deutschland geht es uns gut. Indien ist eine völlig andere Hausnummer. Es ist kaum vorstellbar, dass es so wenig Geld gibt, dass Menschen sich nichts kaufen können. Einerseits überkam mich beim ersten Besuch eine Art Schockstarre. Alles ist vermüllt, überall liegen Plastikflaschen rum und schwimmen in den Flüssen. Ich sah viele arme Menschen mit zerrissener Kleidung und auf der anderen Seite die Glamourwelt durch die vielen Unternehmen, die dort aus dem Boden sprießen. Und dann ist da die Kultur und die Menschen selbst, die wieder faszinieren. Es ist eine Art Faszination-Abneigung.

Take Your Time Thomas Greulich by Cornelia Köster

Welches Erlebnis hat dich dort am meisten berührt?

Am meisten berührte mich ein Moment in der Schule beim Mittagessen. Ich saß einfach nur währenddessen inmitten der Kinder und habe das auf mich wirken lassen. Dabei fiel es mir unfassbar schwer, mich zusammenzureißen, damit mir nicht die Tränen in die Augen stiegen. Das nimmt mich auch heute noch brutal mit.

Es zerreißt einem das Herz, Kinder zu sehen, die keine Schuhe haben. Und diejenigen mit Schuhen, tragen völlig zerlöcherte. Sie tragen schmutzige Kleidung und bekommen mittags eine Schaufel voll Reis mit etwas Soße.


Was bewirkte diese Erfahrung in dir?

Mir wurde einfach gnadenlos bewusst, dass wir alles im Überfluss haben, wir eine Wegwerfgesellschaft sind. Seither kann ich es nicht mehr leiden, wenn etwas weggeworfen wird. Bevor das passiert, esse ich es. Lieber nehme ich noch 2 kg zu, anstatt Nahrungsmittel weg zu werfen. Das prägte sich bei mir sehr stark aus.

Ich bin seither nicht völlig bekehrt und der große Weltverbesserer. Aber glücklich darüber in Deutschland zu leben. Ich habe vieles zu schätzen gelernt.

Beispielsweise, was das Gesundheitssystem betrifft, welches wir haben. Wenn jemand arbeitslos ist, gibt es erst mal Arbeitslosengeld oder dann Harz IV. Du hast ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen.

Diese Gedanken und Gefühle blieben, verschwanden nie mehr ganz, nachdem ich aus Indien zurückkehrte. Es gibt immer wieder Situationen, Momente, in denen ich daran erinnert werde.

Take Your Time Thomas Greulich by Cornelia Köster

Gibt es ein Wunschziel in Sachen Indien?

Die dortigen Kollegen, das Team sind mir natürlich ans Herz gewachsen. Darunter sind viele, die im Kastensystem ganz unten stehen. Ich denke an ihre Zukunft: Wie lange gibt es die Logistik noch? Was wird gerade aus ihnen? Wo kommen sie dann hin? Gibt es eine Möglichkeit, sie zu unterstützen? Sehe ich sie noch einmal oder nicht? In den Bereich stecken Alok und ich im Moment viel Energie rein, wir überlegen, ob und wie wir es wohl etwas zukunftssicherer machen können, vielleicht parallel über die Jahre etwas aufzuziehen.


Was macht dich heute glücklich?

Meine Kinder. So oft sie mich auch ärgern und stressen, aber sie sind der Ausgleich zum Alltäglichen. Wenn ich nach einem schlechten Tag von der Arbeit komme oder im Homeoffice den Rechner zu mache, sind sie diejenigen, die alles wieder gut machen. Sie lassen mich abschalten. Das gelingt natürlich nicht immer, aber oft. Und ansonsten bin ich glücklich, dass ich gesund bin, möglichst lange leben darf. Sei einfach zufrieden mit dem, was du hast. Geld allein macht einfach nicht glücklich. Keines haben zwar auch nicht, aber mittlerweile gibt es doch andere Dinge, an denen ich mich erfreuen kann.

Take Your Time Thomas Greulich am Airport Frankfurt by Cornelia Köster

Hast du ein Vorbild?

Meine Mutter! Sie hat meinen Halbbruder und mich allein aufgezogen. Dabei zogen wir alle an einem Strang. Jeder musste früh lernen, mit Nebenjobs Geld zum Haushalt beizusteuern.

Ich würde für sie durch alles gehen. Von ihr kommen auch die ersten Likes, wenn es von der Band ein neues Video oder Ähnliches gibt.


Wenn du wüsstest, es würde zu 100 Prozent gelingen, was würdest du gerne machen?

Red Bull aus dem Markt kicken. Tatsächlich habe ich eine Idee, die schon bis ins Detail besteht, die Red Bull zumindest im deutschsprachigen Raum gewaltig Konkurrenz machen würde. Wenn ich aber sehe, was an Patent- und Entwicklungskosten anfiele, bräuchte ich schon etwas mehr Kleingeld.


Angenommen du sitzt in hohem Alter mit der Familie im Garten, dein Enkelkind kommt mit einem Zettel und Stift zu dir und bittet dich, deine 3 Wahrheiten aufzuschreiben, die du ihm oder ihr mitgeben möchtest. Welche wären das?

• Lügen macht es nur schlimmer. Es kommt einfach immer raus. (Er lacht.)

• Sei mit dem zufrieden, was du willst. So viele zerbrechen sich den Kopf über ihre Berufswahl aufgrund der Meinung anderer. Wenn er oder sie Zimmermann oder Müllabfuhr-Autofahrer werden möchte, dann soll das Kind es bitte machen.

• Weltoffenheit ist ein Geschenk.


Was packst Du mir auf meine ToDo-Liste, was sollte ich wohl mal machen?

Komm mit auf eine Reise nach Indien.


Vielen Dank Thomas für das Interview.


Vielen Dank an den Airport Frankfurt für die Erlaubnis vor Ort die Aufnahmen machen zu dürfen.

Take Your Time Layout Thomas Greulich by Cornelia Köster

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